Vier Fragen an: Kirsten Deggim

Als lang­jäh­rige Bran­chen­ex­pertin für Handel und Dienst­leis­tung kennt sich unsere wirt­schafts­po­li­ti­sche Spre­cherin Kirsten gut mit den Heraus­for­de­rungen und Chancen der Region aus. Wir haben mit ihr einen Blick auf die aktu­elle Wirt­schafts­lage geworfen: Wie stehen die Kommunen finan­ziell da, mit welchen Maßnahmen stärken wir den Arbeits­markt und wo liegen die Poten­ziale für nach­hal­tigen Wohl­stand? Diese und weitere Fragen beant­wortet Kirsten in unserem Interview.

1. Anfang des Jahres wurde der Kommu­nal­fi­nanz­be­richt für das Ruhr­ge­biet vorge­stellt. Wie bewer­test du die aktu­ellen Entwicklungen?

Die aktu­ellen Entwick­lungen verdeut­li­chen einmal mehr, dass struk­tu­relle Heraus­for­de­rungen die finan­zi­elle Lage der Kommunen erheb­lich belasten. Immer mehr Aufgaben werden auf kommu­naler Ebene über­nommen, jedoch fehlt es an einer auskömm­li­chen und nach­hal­tigen Finan­zie­rung. Ohne eine grund­le­gende Reform der kommu­nalen Finanz­struk­turen wird es schwer, lang­fris­tige Lösungen zu finden.

Gleich­zeitig müssen auch die Kommunen selbst weitere Effi­zi­enz­mög­lich­keiten prüfen. Beson­ders im Bereich der Digi­ta­li­sie­rung und der inter­kom­mu­nalen Zusam­men­ar­beit gibt es noch erheb­li­ches Poten­zial. Digi­ta­li­sie­rung bedeutet hierbei weit mehr als das bloße Bereit­stellen von Formu­laren auf einer Website – es geht darum, Verwal­tungs­pro­zesse umfas­send zu moder­ni­sieren und effi­zi­enter zu gestalten. Hier müssen wir ansetzen, um lang­fristig Kosten zu senken und den Service für die Bürger*innen zu verbessern.

2. Laut der Arbeits­markt­bi­lanz für 2024 ist die Beschäf­ti­gung im Ruhr­ge­biet auf einem Rekord­hoch. Gleich­zeitig steigt jedoch die Arbeits­lo­sen­quote. Wie erklärst du dieses Phänomen und welche Maßnahmen sind jetzt erforderlich?

Diese Entwick­lung zeigt, dass es zwar mehr sozi­al­ver­si­che­rungs­pflich­tige Beschäf­ti­gung gibt, aber gleich­zeitig nicht alle Menschen vom Arbeits­markt profi­tieren. Ein entschei­dender Faktor ist die Pass­ge­nau­ig­keit zwischen Angebot und Nach­frage: Viele offene Stellen setzen Quali­fi­ka­tionen voraus, die nicht alle arbeits­losen Menschen mitbringen. Hier müssen wir gezielt ansetzen – insbe­son­dere mit Weiter­bil­dungs- und Quali­fi­zie­rungs­pro­grammen, die den Bedarf der Unter­nehmen treffen.

Ein weiterer wich­tiger Punkt ist die Flexi­bi­li­sie­rung von Arbeits­zeit­mo­dellen. Die Verein­bar­keit von Familie und Beruf ist in vielen Unter­nehmen noch ausbau­fähig, was insbe­son­dere für Frauen* und Allein­er­zie­hende eine Hürde darstellt. Auch die früh­zei­tige Inte­gra­tion von Geflüch­teten in den Arbeits­markt kann einen wich­tigen Beitrag leisten. Hier sollten wir verstärkt auf schnelle Aner­ken­nungs­ver­fahren für Quali­fi­ka­tionen und gezielte Förder­maß­nahmen setzen. Zudem erfor­dert die Arbeits­welt von morgen neue Modelle des Führens, beispiels­weise Teil­zeit-Führungs­kräfte oder hybride Arbeits­formen. Diese Ansätze müssen stärker in den Fokus rücken.

3. In welchen Wirt­schafts­zweigen siehst du das größte Poten­zial, damit das Ruhr­ge­biet seinen Wohl­stand nach­haltig sichern kann?

Die wirt­schaft­liche Stärke des Ruhr­ge­biets liegt beson­ders in den kleinen und mittel­stän­di­schen Unter­nehmen. Sie sind flexibel, inno­vativ und können sich schnell an verän­derte Markt­an­for­de­rungen anpassen. Beson­ders das Hand­werk und die Dienst­leis­tungs­branche spielen hier eine zentrale Rolle. Gleich­zeitig brau­chen gerade diese Unter­nehmen eine starke poli­ti­sche und wirt­schaft­liche Vertre­tung, um sich lang­fristig behaupten zu können. Hier müssen wir die Vernet­zung weiter stärken und Kräfte noch mehr bündeln.

Ein weiterer Zukunfts­be­reich sind die grünen Tech­no­lo­gien. Das Ruhr­ge­biet hat als ehema­lige Kohle­re­gion enormes Poten­zial, ein Vorreiter für die Ener­gie­wende und klima­freund­liche Wirt­schaft zu werden. Hier müssen wir Inno­va­tionen fördern und Unter­nehmen unter­stützen, die in nach­hal­tige Tech­no­lo­gien inves­tieren. Zudem gilt es, die Vernet­zung zwischen Wissen­schaft und Wirt­schaft auszu­bauen, um neue Ideen schneller in die Praxis zu überführen.

4. Und zu guter Letzt: Welches wirt­schafts­po­li­ti­sche Projekt oder welche Maßnahme des RVR findest du am vielversprechendsten?

Es gibt viele span­nende Initia­tiven, die das Ruhr­ge­biet wirt­schaft­lich voran­bringen. Beson­ders hervor­zu­heben sind die Vernet­zungs­ver­an­stal­tungen der Kultur- und Krea­tiv­wirt­schaft, die unter anderem durch die Busi­ness Metro­pole Ruhr (BMR) orga­ni­siert werden. Diese Branche ist unglaub­lich viel­fältig und hat ein enormes Poten­zial – umso wich­tiger ist es, den Austausch und die Koope­ra­tion inner­halb der Region zu stärken.

Ein weiteres zentrales Projekt ist die Verbes­se­rung der Außen­wir­kung des Ruhr­ge­biets durch gemein­same Maßnahmen von BMR, der Ruhr­Tou­rismus GmbH und dem RVR. Das Ruhr­ge­biet hat so viel zu bieten – von einer einzig­ar­tigen Indus­trie­land­schaft über kultu­relle High­lights bis hin zu groß­ar­tigen Menschen. Dieses Poten­zial müssen wir noch stärker kommu­ni­zieren und Menschen für unsere Region begeis­tern. Denn nur wenn das Ruhr­ge­biet als attrak­tiver Wirt­schafts­standort wahr­ge­nommen wird, können wir lang­fristig Fach­kräfte und Inves­ti­tionen anziehen.

Vielen Dank, liebe Kirsten, für deine Antworten.