Die gesamte Rede von Sabine von der Beck, Fraktionsvorsitzende der GRÜNEN im Regionalverband Ruhr:
Es gilt das gesprochene Wort …
Die Nachricht, dass sich die Aufstellung des Regionalplans Ruhr über den Kommunalwahltermin hinaus verzögert, ist vor drei Wochen wie eine Bombe eingeschlagen und hat den Regionalverband Ruhr im Fundament erschüttert.
Das ist sehr erstaunlich.
Denn: Theoretisch hätte man auch einfach sagen können, wir, das Ruhrparlament, wollten ein breit angelegtes, transparentes, konsensorientiertes und partizipatives Planungsverfahren, das haben wir hier alle gemeinsam einstimmig so beschlossen. Wir wollten die Beteiligung vieler Menschen, wir haben bekommen was wir wollten. Und in einer komplexer werdenden Welt und bei obendrein komplett neuen Vorgaben vom Land braucht das nun mal mehr Zeit. Das ist in ganz Deutschland so. Die fachliche Arbeit im Regionalverband Ruhr ist hoch respektiert. Wenn wir mehr Personal hätten, wären wir schneller fertig. Haben wir aber nicht. Dann dauert es halt länger. Macht nix, denn de facto bleibt vor Ort ja auch gar nichts liegen, weil es ja gültige Pläne für alles gibt, die geändert werden können. Wo ist also das Problem? Ende der Durchsage.
Aber so war es nicht. Zu keinem Moment seit Freitag, dem 13. September, 11 Uhr. Gelassene Stimmen hatten null, ich war dabei, wirklich null Chance, sich Gehör zu verschaffen gegen die Hysterie, die Wut und den Aktionismus, die unvermittelt, sofort und mit voller Härte einsetzten.
Während die Schuld an der Verzögerung an sich schnell erklärt ist – Personalmangel, Änderungen der Landesvorgaben und hohe Beteiligung – lässt sich die explosionsartige Eskalation bis hin zur Existenzkrise des RVR nur durch eklatante Managementfehler erklären. Hausgemacht, und zwar im großen Stil. Fehlendes Erwartungsmanagement, ungeeignetes Personalmanagement, kein Risikomanagement, plus fehlendes Krisenmanagement und stümperhafte Öffentlichkeitsarbeit. Und das, dieses multiple Managementversagen, hat der grüne Planungsdezernent ganz sicher nicht allein verbockt.
Schön der Reihe nach:
Sprengsatz Nr. 1. Fehlendes Erwartungsmanagement.
Bei dem Thema haben wir alle ein Stück weit versagt. In der Euphorie über die politisch hart erkämpfte neue Kompetenz, die die Zersplitterung des Ruhrgebiets in fünf verschiedene Pläne endlich beendet, haben wir das Thema viel zu hoch aufgehängt. Einer der Reporter, die jetzt das Scheitern in historischer Dimension ausgerufen haben, hat sich neulich fast ein bisschen bei mir dafür entschuldigt und berichtet: Anfangs habe sich keiner für Regionalplanung interessiert, er habe in der Redaktionskonferenz regelrecht dafür kämpfen müssen, dass soo eine dröge Materie überhaupt den Weg in die Zeitung findet. Der RVR habe ihm ständig in den Ohren gelegen, wie wichtig und überhaupt Regionalplanung doch sei. Auf Bitten und Drängen hin habe er sich durchgesetzt. Und jetzt ist es wie es ist: Einmal Thema, immer Thema, und zwar nicht nur dann, wenn es Erfolge zu verkünden gibt, sondern auch, wenn es schiefgeht. Insofern sind mit dem sehr transparenten und in die Öffentlichkeit gepushten, innovativen Verfahren Risiken verbunden gewesen, die von uns allen, aber auch von unserem grünen Dezernenten, aber auch von der Regionaldirektorin an der Spitze der Bewegung, nicht gesehen wurden.
Sprengsatz Nr. 2. Ungeeignetes Personalmanagement.
Der RVR ist ein vergleichsweise kleines „Rathaus“, mit innovativen Projekten und vielen hoch engagierten Mitarbeiter*innen, die für ihren Job, ihre Aufgabe brennen. Das ist super, das ist eigentlich so, wie man es sich in vielen Behörden vergeblich wünscht. Aber dieses hohe Engagement birgt eben auch latent die Gefahr, dass Menschen sich selbst überfordern, ohne es zu merken. Martin Tönnes ist selbst der Engagiertesten einer. Er hat nur noch mehr gerackert, je mehr ihm durch die Landesplanung, durch Abgrabungskonferenz oder auch durch die merkwürdigen Sonderwünsche der CDU-Fraktion draufgesattelt wurde. Er hat seine eigene und die Überforderung seines Teams in diesem Hamsterrad nicht bemerkt. Ja, das kann man ihm zum Vorwurf machen. Aber wenn das seine direkte Vorgesetzte nicht erkennt, und Gegenmaßnahmen ergreift, wie soll das dann die Politik können.
Sprengsatz Nr. 3. Keinerlei Risikomanagement.
Plötzlich ist die Seifenblase explodiert. Von einem Tag auf den anderen. Anscheinend gab es keinerlei Risikobewusstsein, keinerlei Frühwarnsysteme. Wir haben nachgefragt: Es gab aus dem Referat keine einzige Überlastungsanzeige im Vorfeld. Das Motto im ganzen Haus lautet anscheinend: Wir wursteln uns so durch. Es ist noch immer gut gegangen. Wir wissen alle, wie knapp die Bearbeitung der Förderanträge zur IGA 2027 war. Da hätte die Seifenblase auch schon platzen können. Und wir müssen schon sagen, sehr geehrte Regionaldirektorin, das ist ihr Job, solche kritischen Situationen früher zu erkennen, die interne Kommunikation aufzubauen und mit der Politik gegenzusteuern. Und ja, wir Grüne werden der Abwahl unseres Dezernenten nicht im Weg stehen, weil wir die Bedeutung der Regionalplanung für den RVR und das Ruhrgebiet insgesamt sehen. Aber Sie sind angezählt, noch so eine Explosion werden Sie nicht aussitzen. Also sehen Sie zu, dass sich was ändert.
Sprengsatz Nr. 4. Null Krisenmanagement.
Wie dann Dezernent und zwei Referatsleiter bei Ihnen vorgesprochen haben, weil die Mitarbeiter*innen selbst vor den Rechnern erkannt haben, dass sie die Arbeit beim besten Willen nicht mehr schaffen können, sprich: Als es also schon viel zu spät war, haben Sie kein Krisenmanagement betrieben. Sie hätten alles stehen und liegen lassen müssen, den Kommunalrat einberufen, das Land anrufen und mit in die Verantwortung nehmen können. Sie hätten den Planungsausschuss in der nächsten Woche informieren können. Sie hätten die Fraktionsvorsitzenden informieren können. Aber Sie haben lediglich den Dezernenten an den Planungsausschussvorsitzenden verwiesen, und sich um anderes gekümmert. Ich glaube Sie waren bei der Kulturkonferenz. Nichts gegen die Kulturkonferenz, ich schätze sie sehr, aber sie hätten sich besser um das Krisenmanagement vor Ort kümmern sollen.
(Anmerkung: Wegen Redezeitbegrenzung konnten Teile der vorbereiteten Rede nicht mehr in Gänze gesprochen werden, die lt. Erinnerung gesprochenen Passagen sind im Folgenden Fett hervorgehoben.)
Sprengsatz Nr. 5. Stümperhafte Öffentlichkeitsarbeit.
Den Vorwurf kennen Sie schon. (Sie haben sich dafür gerade entschuldigt). Es wurde eine Pressemeldung versandt, die in Teilen irreführend und falsch und von Ihnen noch nicht freigegeben war. Die Begründung war, es hätte doch schon in der WAZ gestanden. Ihre Pressestelle hätte dementieren müssen, auf Beratungen verweisen müssen sonstwas, aber doch nicht einfach einen halbgaren Entwurf herausgeben dürfen. Das ist einfach nur unprofessionell. Und wir haben das neulich schon mal kritisiert, dass Dinge in der Zeitung stehen, die so nicht beschlossen sind. Auch da war die Begründung, dass die Presse schon berichte. Damit kommen Sie nicht mehr durch. Sehen Sie zu, dass Ihre Pressestelle funktioniert.
Durch Ignorieren und Nichthandeln die Rahmenbedingungen für eine solche fatale Fehlentwicklung zu schaffen, und dann so tun, als wäre das Ganze nur das persönliche Versagen eines einzelnen, und auf eine Panne in der Pressestelle herunterzuspielen, das ist schlimm genug. Aber aktiv die Verschärfung der Krise herbeizuführen, das ist hinterhältig. Und damit kommen wir zur Rolle der CDU in diesem Spiel.
Herr Mitschke, Sie sind Rentner. Aber wollen Sie uns allen Ernstes erklären, dass sie die 5.000 Stellungnahmen unbedingt sofort als erster im Original bekommen mussten, weil sie diese persönlich durchlesen wollen. Haben Sie sich mal ausgerechnet, wann sie damit fertig sind und wie alt sie sind, bis sie alles, was sie da der Verwaltung abverlangt haben, auch nur einmal gelesen haben? Das sind ja keine einseitigen Briefe. Ich habe mir eine Stellungnahme ausgedruckt und durchgelesen, das war allein ein ganzer Aktenordner, die Stellungnahme der Naturschutzverbände, und habe dafür – allerdings neben dem Job – eine ganze Woche gebraucht, um das zu lesen. Mit ihrem Kontrollwahn haben Sie, obwohl Sie wussten, wieviel Arbeit das Schwärzen der Dokumente aus Datenschutzgründen darstellt, und Sie ebenso wussten, dass die Personalausstattung nicht ausreicht, (Sie haben) absichtlich Sand ins Getriebe gestreut. Seit dem Wechsel in der Landesregierung erleben wir, dass die CDU-Fraktion bei der Regionalplanung auf der Bremse gestanden hat. Allein das Ringen bis zur Veröffentlichung des erstens Entwurfs, hat uns ein Jahr gekostet. Wie erklären Sie dieses Verhalten denn eigentlich den IHKen, die allesamt nach Tempo rufen?
Jetzt kommen wir zur anderen Spitzenkraft der CDU in diesem Verband. Der Vorsitzende der Verbandsversammlung Herr Hovenjürgen, hat keine Gelegenheit, die sich in seinen vielen anderen Jobs – als Generalsekretär im Land oder Landtagsabgeordneter – vor Ort ausgelassen, um den Druck auf die Regionalplanung und ganz gezielt Martin Tönnes zu erhöhen. Die Krönung ist Ihre Behauptung in einem Ruhrgebietsblog, der Regionalplan sei ein reines Werk der Verwaltung und mit der Politik nicht abgestimmt. Sagen Sie mal, Herr Hovenjürgen, wo leben Sie eigentlich als Vorsitzender der Verbandsversammlung. Sind sie ein Vorlagenvorleseroboter, der Drucksachennummern runterrattert, oder nehmen Sie auch mal inhaltlich zur Kenntnis, was hier beraten wird? Es hat über 30 Beschlüsse und Drucksachen in der Beratung in den Gremien dieses Hauses gegeben. Dass Sie, als Vorsitzender der Verbandsversammlung davon nichts wissen, ist ein Skandal. Jetzt sind Sie kein Rentner und haben wegen Ihrer vielen anderen Ämter wenig Zeit, die nachzulesen. Herr Goldmann als dritter stellvertretender Vorsitzender der Verbandsversammlung wird Ihnen im Rahmen seiner Möglichkeiten zur Stellvertretung die Zeit zum Nachlesen sicherlich gern verschaffen.
Wir stellen außerdem fest, dass auch andere auf diese Krise erstaunlich gut vorbereitet gewesen, sind. Als die Nachricht wie eine Bombe einschlug, traten die Krisengewinnler erstaunlich schnell auf den Plan, die Wirtschaftsvertreter, die fast schon kampagnenartig, wie Karl aus der Kiste gesprungen sind und zu massiven und schnellen Gewerbeflächenausweisungen aufgerufen haben. Das ist Plünderung eines Konsenses, für den hundert Jahre lang in diesem Verband gekämpft wurde.
Ich bin sehr dankbar für die sehr sachliche Stellungnahme der Akademie für Raumforschung und Landesplanung, die mit Sorge beobachtet, wie der „über Jahrzehnte gewährte Konsens über die Sicherung regionaler Grünzüge bzw. Freiraum zu Disposition gestellt wird.“ Diese grünen Lungen des Ruhrgebiets in Frage zu stellen hieße, die neben dem blauen Himmel über der Ruhr zweite große Errungenschaft früherer Politikgenerationen bei der Schaffung guter Lebensqualität zur Disposition zu stellen“. Diejenigen, die in den letzten Wochen mit dem Ruf nach aggressiver Ausweisung von Gewerbeflächen in Kernstädten aus der Deckung gekommen sind, wollen nichts weiter als die Krise nutzen, um ihre Profite zu machen. Das ist nicht nur schäbig. Sondern, liebe Bürgerinnen und Bürger, das kostet die Lebensqualität für alle. Die ARL weiter: Die regionalen Grünzüge und Freiflächen sind „Qualitäten, die nicht nur für die regionale Bevölkerung von hoher Bedeutung sind, sondern auch den Verbleib junger Menschen nach Ausbildung und Studium befördern. Die Schärfe der Konflikte um Ausweisung von Gewerbeflächen im Freiraum überrascht zudem angesichts des nach wie vor hohen Potenzials an entwicklungsfähigen Brachflächen im Ruhrgebiet und angesichts der fortschreitenden Digitalisierung der Wirtschaft, durch die andere ‑Standortfaktoren und Tendenzen an Bedeutung gewinnen, denen man nicht durch bisher unbebaute Flächen auf der grünen Wiese gerecht wird.“
Genau, wir Grüne wollen Arbeitsplätze. Aber was wir nicht wollen, dass weniger Brachflächen recycelt oder weniger marode Stadtteile saniert werden, weil es bequemer und billiger ist, mit dem Bagger die grüne Wiese zu vernichten, den Menschen die Lebensqualität zu nehmen, und die Frischluftschneisen in den Städten zu verbauen. Und deshalb ist und bleibt Regionalplanung ein Herzensanliegen der Grünen. Wir wollen den Menschen die wirklichen Planungsdesaster wie Stuttgart 21 mit vorausschauender, guter Planung und früher Beteiligung am liebsten von vornherein ersparen. Und deshalb ist es auch nicht egal, wer Planung macht.
Sucht man nach den Schuldigen, dann liegt die formelle Verantwortung für die Krise im Planungsdezernat und bei der Regionaldirektion. CDU und andere haben Fallstricke gespannt. Ja, die Verzögerung ist im Bereich von Martin Tönnes eingetreten. Aber die Rahmenbedingungen für das Eintreten des Fehlers und die fatale Sprengkraft fehlenden Krisenmanagements und stümperhafter Öffentlichkeitsarbeit, hat die Regionaldirektorin zu verantworten.
Aber die Stimmen, die eine Abschaffung des Regionalverbands fordern, sind deutlich zu vernehmen. Wenn alle so tun, als könnte es hier einfach so weiter gehen wie bisher, dann kann auch hier das Ende näher sein als man denkt. So, auch wenn es schwerfällt, jemand muss ja hier mal vorangehen und mit dem Aufräumen anfangen, bevor der Laden komplett an die Wand fährt. Wir wollen diese hausgemachte Krise jetzt nicht aussitzen, sondern wir werden uns der Abwahl unseres Dezernenten nicht in den Weg stellen. Wir Grüne leisten unseren Beitrag, um diese Krise zu überwinden. Denn die Menschen im Ruhrgebiet, die haben einen guten Regionalplan und einen handlungsfähigen RVR verdient.
Die Rede von Sabine von der Beck als PDF: Sabine von der Beck_11.10.19